Durch Geschichten Geschichte erfahren
Wie hält man Erinnerungen an die vielen Menschen wach, die vor zwei Generationen durch die Gewalt des letzten Weltkriegs, durch die Verbrechen der Nazis, durch das Wegschauen ihrer Nachbarinnen und Nachbarn gedemütigt, verschleppt und ermordet wurden?
Wir können es heute nur noch mittelbar versuchen, indem wir nach Spuren fragen, authentische Worte aus hinterlassenen Briefen entnehmen, Persönliches in Fotografien entdecken. Christina Hein, Lokalredakteurin und Autorin des Buches „Nie Vergessen“ (Euregio-Verlag, Kassel 2020) hat sich mit auf solche Spurensuchen eingelassen. Sie gibt, fußend auf den reichen Arbeiten des Vereins „Stolpersteine in Kassel e.V.“, vor allem hiesigen Opfern des deutschen Faschismus ein Gesicht. Hein erzählt genauso anschaulich wie faktentreu ihre Geschichten. Als Journalistin weiß sie: Pure Zahlen bleiben abstrakt, Bilder und Details aber wirken nach. Vor allem bei ihren jugendlichen GAZ-Zuhörerinnen und Zuhörern aus den 9. und 10. Klassen in der Stadtteilbibliothek. Sowohl die sprachlos betroffenen Reaktionen auf die Geschichte vom Überleben eines Kasseler„Kindertransport“-Mädchens oder die willkürliche Hinrichtung eines 19-Jahre jungen Soldaten, als auch die genaueren Nachfragen zu den Wirkungsstätten angesehener Bürger, die keinen Ausweg mehr sahen, ihren Verfolgern zu entkommen, und das Interesse an Schicksalen, die wegen einer Lappalie, einer Unachtsamkeit, eines Verrats, wegen ihres Engagements oder ihrer Religion getötet wurden, machen deutlich, dass auch heute, nach gut zwei Generationen, Geschichte nicht vergangen ist.
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BU: „Nie vergessen“: Die HNA-Redakteurin und Buchautorin Christina Hein zu Gast in der Stadtteilbibliothek Oberzwehren. (Foto: AGB)