Anpacken für Menschlichkeit

In und um die Kasseler Kirche St. Joseph türmen sich Hilfsgüter für Menschen an der ukrainischen Grenze. Für die Verladung auf große Trucks werden Hände gebraucht. Viele Jugendliche von der GAZ sind als Helfer dabei.

Im türkischen Antalya treffen an diesem Vormittag feindliche Außenminister aufeinander. 3000 Kilometer nordwestlich wischt sich Samih in Kassel-Rothenditmold kurz den Schweiß von der Stirn. Eine Schulkameradin aus seinem Jahrgang wird ihm gleich das nächste Hilfspaket in die Arme wuchten: Rund zwanzig Schülerinnen und Schüler aus der Georg-August-Zinn-Schule bilden mit anderen freiwilligen Helferinnen und Helfern hier in der Kirche St. Joseph eine Kette, um viele, viele hundert Hilfspakete Richtung Transporter zu hieven. Große Trucks werden dann tonnenweise Kindersachen, Schlafsäcke, Pullover, Windeln, Hygieneartikel und vieles weitere mehr auf den Weg dorthin bringen, wo diese Dinge dringend gebraucht werden: An die Grenze der Ukraine.

Jede Kiste wird etikettiert mit Symbolen, die keine Sprache benötigen. Noch türmen sie sich in der Kirche höher als der Altar. Um sie herum führen schmale Korridore in die Sakristei, auch hier überall Bananenkartons, Baumarktkartons, Versandhauskartons – alles, was stapelbar ist und mit Klebestreifen versehen noch stabil genug zusammenhält, wandert irgendwann von Arm zu Arm nach draußen.

Am Eingang wacht Thilo. Der frühere Polizist, Ausbilder und Gewerkschafter passt eigentlich darauf auf, dass die kostbaren Päckchen mit Kanülen und wichtiger Medizin keinen Schaden nehmen. 80 Jahre ist er alt – aber an so etwas wie hier kann er sich nicht erinnern. Auch nicht an eine derartige Hilfsbereitschaft: Das sei einfach großartig, was hier zusammenkäme, insbesondere seitens der Jugendlichen. Janna und Amar reichen in ihren Ketten ohne Umschweife auch ihm Pakete, in der Annahme, dass er zu ihnen gehöre. Denn alle haben hier in und um die Kirche St. Joseph sehr schnell eine Aufgabe. „Was mich wirklich begeistert, ist die Einsatzbereitschaft unserer Schülerinnen und Schüler“, sagt Maren Musielak, Lehrerin an der GAZ, „die sehen, wo etwas zu tun ist, und packen an.“

Die Neunt- und Zehntklässler sind spürbar voll dabei. Auch emotional. Auf das Gelände kommen auch Geflüchtete mit ihren Kindern, die in einem Zelt gespendete Dinge aussuchen, die sie dringend benötigen. Eine Schülerin, die auf eine ausgezehrt wirkende Frau trifft und Worte mit ihr zu wechseln beginnt, hat bald Tränen in den Augen. Mitunter leisten Schülerinnen spontan wertvolle Übersetzungshilfen – denn nicht wenige von ihnen sprechen von Haus aus auch russisch. Andere Helfer stammen aus syrischen, irakischen, türkischen oder afghanischen Familien. Nationalitäten spielen hier keine Rolle - Menschlichkeit die einzige.

Nicht so beim gleichzeitigen Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine: Sie erzielen an diesem Tage keine Fortschritte. Noch hofft man wenigstens auf eine Zusage, dass Menschen aus dem Grauen des Krieges flüchten können. Helfende Hände werden auf jeden Fall weiter gebraucht, in St. Joseph wie in unzähligen anderen Gemeinden.

 

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