Einfach da sein
"Homeschooling" ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Insbesondere für die Familien. Zugleich ist der Distanzunterricht in Zeiten der Pandemie alternativlos - und kann die Vernetzung zwischen Eltern und Schule stärken. Ein Beispiel aus der 5b.
Paula ist elf und Homeschool-Profi. Schon in der Grundschule hatte sie phasenweise zuhause am Computer gelernt. Coronabedingt war sie im vergangenen Herbst die Erste ihrer Klasse, die im Jahrgang 5 zum “Homeschooling” überging. Denn Paula gehört zu den Menschen, die in den Nachrichten schlicht “Risikogruppe” genannt werden: Mit sechs Jahren hatte sie bereits 23 Lungenentzündungen überstanden. “Seit vier Jahren ist das Organ dank vieler Medikamente und viel Therapie stabil geblieben. Es gilt nun, einen Rückfall in die schlimme Zeit davor unbedingt zu vermeiden”, sagt Sylvia Schuler ganz sachlich im Gespräch am Telefon. Auch sie ist offenkundig “Profi”: Sylvia ist Paulas Mutter und unterstützt ihre gesundheitlich durch einen Hydrozephalus beeinträchtigte jüngste Tochter zuhause beim Lernen. “In Grundschulzeiten reichte dafür noch der Küchentisch”, erinnert sie sich, mittlerweile habe Paula aber ein eigenes Arbeitszimmer zum Lernen, mit Ablagefach für Arbeitsblätter, Handy und natürlich den Tablet-Rechner von der Schule. Paulas Vater versorgt die Tochter mit ausgedruckten To-do-Listen, Sylvia mit zweitem Frühstück in der Pause. “Es wird gemütlicher”, stellt sie fest.
Schwierige erste Tage
Die ersten Tage seien allerdings nicht einfach gewesen. Wie geht das mit dem Schulportal? Wie kann man überblicken, welche Aufgaben dran sind? Und wie gibt man sie ab? Paula haderte zu Beginn auch damit, dass sie schon kurz nach den Herbstferien nicht mehr zur Schule kommen sollte - zunächst als einzige ihrer Klasse. Sie liebt ihre Klasse - warum sollte sie, für die es immer ein “Extra” geben müsse, nicht mehr dabei sein?
Ihr Klassenlehrer Simon Kuhn machte aus der Notwendigkeit des Homeschoolings auf empathische Weise für sie eine Tugend: Er erklärte Paula, dass sie für ihre Klasse jetzt eine Vorreiterin sei, die es ihren Mitschülerinnen und Mitschülern zeigen müsse, wie Distanzunterricht funktioniere. Beim Wort “müssen” macht es bei Paula einfach “klick”: Nicht, weil sie eine ‘Oberstreberin’ wäre - das ganz sicher nicht. “Aber dass ich alles gut machen muss, liegt ja einfach daran, das ich dieses ‘Müssen’ schon ewig durch die Therapien kenne”, so Paula über Paula.
Dem Vernehmen nach funktioniere der Distanzunterricht in der 5b mittlerweile in vielen Bereichen prima. Der junge Englischlehrer unterrichte live für bzw. mit 23 Schülerinnen und Schülern, es gebe Videos mit Referaten, aufgesprochene Gedichte, online-Sprechstunden sowie regelmäßig Aufgaben über das Schulportal. Paula habe durch das ruhige, konzentrierte und mittlerweile strukturierte Lernen zuhause profitieren, z.B. ihre Handschrift sichtlich verbessern können. Mittelbar habe Homeschooling auch die Vernetzung der Eltern untereinander gestärkt - eine wesentliche Voraussetzung, um z.B. Videounterricht zu organisieren oder den Informationsfluss zwischen dem Klassenlehrer und den Klasseneltern für beide Seiten zu erleichtern.
Doch die realen sozialen Kontakte fehlen, und das sei über so lange Zeit ein Problem. Insbesondere für Paula: “Die GAZ ist für sie einfach ein besonders schöner Ort, einer, wo sie bei allen Regeln und Anforderungen auch ihre Freiheit genießt,” erklärt Sylvia Schuler.
Obwohl reale Begegnungen fehlen: Für Familie Schuler ist der Distanzunterricht kein irgendwie zu schließender Kompromiss, sondern einfach unabdingbar. “Wir müssen wegen Paula größte Sorge haben vor einer Ansteckung. Und die ist uns durch das Homeschooling höchstmöglich genommen. Das erleichtert uns das Leben sehr!” Im Übrigen erinnere sie die Situation auch daran, was für Eltern als alltägliche Lernbegleiter wichtig sei: Nicht so sehr, inhaltlich helfen zu können, sondern zuzuhören, zuzugucken, liebevoll Interesse zu zeigen, mit einem Wort: einfach da zu sein.
Und Paula? Die ist, wie gesagt, Profi. Eine unglaubliche Profi für ihr Alter. Sie sagt: “Das ist so. Das gehört zu mir.” Und dann macht sie es. AGB
(Foto: privat)