Zu Tisch mit Dominik Becker
Wie tickt eigentlich der neue Schulleiter der GAZ?
Ein Mensa-Gespräch und anderthalb gelöschte Legenden.
Das Gespräch mit dem „Neuen“ Schulleiter startet zwischen unseren zwei Mensatellern (am einen Tisch vegetarisch, am anderen mit Fisch) nicht nur mit der Einhaltung von anderthalb Metern Corona-Abstand, sondern auch mit der Aufdeckung von anderthalb, nennen wir es ruhig beim Namen, Unwahrheiten. „Neu“ ist Dominik Becker, 44, an der GAZ bekanntlich nur zur Hälfte, und zwar als offizieller Schulleiter. Tatsächlich kennt er die Europaschule wie kaum noch eine andere Kollegin oder anderer Kollege, fing er hier doch bereits 2006 als Leiter des Hauptschulzweigs, also noch zu „kooperativen“ Zeiten an. Zur Erinnerung: Seit bald zehn Jahren ist die GAZ integrierte Gesamtschule und – auch nicht erst seit vorgestern – als „Neue GAZ“ im Ganztagsbereich stark aufgestellt.
Die zweite Legende hat Becker eigentlich bereits bei der Abschiedsfeier seines Vorgängers Mathias Koch widerlegt: Vor versammelten Gästen hielt er, der nach eigenem (Under-) Statement kein Held der Rhetorik sei, eine feine, kleine Rede. Und zwar zur Überraschung aller, vor allem des seinerzeitigen Chefs, in prononciertem Englisch. So nimmt es denn auch gar nicht Wunder, dass er als eines seiner ersten konzeptionellen Schlagworte den „flipped classroom“ mit Löffel und Gabel skizziert.
Dominik Becker macht schon vor dem ersten Lachshapps kein Hehl daraus, dass er lieber die in der Bildungsszene vielerseits gepriesenen Allheilmittel erst einmal auf ihre Inhalte und Nebenwirkungen hin abklopft als sie nachzubeten. Er sieht sich eher als Pragmatiker denn als Visionär und deutlich eher als ein Fan von guten Ideen denn als ein Idealist. Die gepriesene, geforderte und kräftig geförderte Digitalisierung z.B. sei richtig und überfällig, gerade in den Untiefen unserer Covid-19-Zeit. In der aktuellen Diskussion um die Ausstattung der Schulen bzw. von bedürftigen Familien mit Endgeräten und Internetzugängen sei es aber auch wichtig, die Digitalisierung nicht zum Zweck zu erklären, sondern Apps & Co. stets als didaktische Mittel einzusetzen, um solide Fähigkeiten zu schulen und zu stärken. Dazu gehören z.B. auch gutes Lesen, händisches (nicht „handysches“!) Rechnen und Schreiben. „Mein Vater, selbst Schulleiter, gab als Devise immer aus, dass bei ihm die Schülerinnen und Schüler alle ihre Hefte vollschreiben mussten. Und der hatte damit Erfolg,“ sagt Becker „jr.“, wohlwissend, dass er dieses „Hausmittel“ im nicht mehr ganz so jungen 21. Jahrhundert als frischer Schulleiter nicht ohne gebotenes Augenzwinkern zitieren kann. Individualisierung und Differenzierung im Unterricht seien nicht mehr wegzudenken oder zu diskutieren, und das gelte längst nicht mehr nur für eine IGS. Diese Errungenschaften seien für Schulen genauso obligat wie die Vorbildfunktion der Lehrkräfte oder konventionelle Unterrichtsgespräche.
Auch der in der pädagogischen Theorie in die Defensive geratene frontale Unterricht habe für ihn weiterhin seine Berechtigung. Und hier kommt wieder der „flipped-“ oder auch „inverted classroom“, zu deutsch etwa der „umgekehrte Klassenraum“ auf den Tisch: eine Unterrichtsmethode des integrierten Lernens, in der die Hausaufgaben und die Stoffvermittlung insofern vertauscht werden, als dass die Lerninhalte zu Hause von den Lernenden erarbeitet werden und die Anwendung im Unterricht geschieht. Im umgedrehten Unterricht erstellen die Lehrer, manchmal aber auch Schülerinnen oder Schüler selbst das Material für das Lernen daheim, gepaart mit Lehrvideos, die nicht im Unterricht, aber z.B. zuhause geschaut werden. Die Übungen dazu finden dann in der Schule statt. Das bedeute wiederum mehr Unterrichtszeit, in der die Lernenden durch die Lehrenden „gecoacht“ werden können. Den Schülerinnen und Schülern biete das Verfahren die Möglichkeit, die Lehrinhalte selbstbestimmt und im eigenen Tempo zu rezipieren. Treten Fragen oder Verständnisprobleme auf, können diese optimaler Weise über das Internet oder in den Übungsphasen direkt beim Lehrer oder der Lehrerin geklärt werden.
Ob nun “umgekehrt” oder althergebracht, digital oder analog: Jedes Mittel hat für den Schulleiter Licht- und Schattenseiten, und keines sei für alle gleich geeignet. Die Kunst des Unterrichtens wie wohl auch des Leitens sei und bleibe die des Abwägens, eine Mixtur aus Wendigkeit und Verlässlichkeit. Und von Offenheit. Letztere manifestiert sich bei Dominik Becker nicht nur anlässlich von Tischgesprächen: Seine Tür steht bekanntlich im wörtlichen Sinne offen.
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