„Ich bin Ich geblieben und ich glaube, das war wichtig“
Yasemin Cinar ist ein ganz besonderes Mädchen. Die 16jährige Schülerin der Georg-August-Zinn-Schule hat es geschafft, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Und das bereits in der 9. Klasse, also mit dem qualifizierenden Hauptschulabschluss, in einem männerdominierten Beruf als Industriemechanikerin, bei dem größten Arbeitgeber in der Region, bei Volkswagen.
ÜSB: Yasemin, wie kamst du darauf, dich in der 9. Klasse bei VW für eine Ausbildung zu bewerben?
Yasemin: VW ist eine große Firma mit vielen verschiedenen Berufen, die man dort lernen kann. Das ist sehr vielfältig, vor allem im Bereich Metall. So richtig Gedanken darüber gemacht habe ich mir aber erst, als meine Klassenlehrerin sagte, dass es jetzt langsam Zeit wird, sich zu entscheiden, ob man weiter zur Schule gehen will oder in die Ausbildung. Eigentlich konnte ich mir das mit VW schon früh vorstellen.
Ich habe dort in der 7. Klasse den GirlsDay mitgemacht und war mit meinem Vater, der ja auch dort arbeitet, beim Tag der offenen Tür. Er hat mir alles gezeigt, vor allem die großen Maschinen, die von Computern gesteuert selbständig arbeiten. Das fand ich toll. Als wir dann im letzten Herbst mit der ganzen Klasse bei den Berufsinfotagen bei VW waren, konnten wir die verschiedenen Berufe kennenlernen. Ich habe mich zuerst für Fachkraft für Lagerlogistik interessiert, aber mich dann doch um entschieden. Bei Industriemechanik ist es abwechslungsreicher, man schweißt, man dreht, man fräst. Das gefällt mir. Aber am wichtigsten war das mit den großen Anlagen für mich, diese CNC-Maschinen, das interessiert mich.
ÜSB: Und wie lief das Bewerbungsverfahren dann ab?
Yasemin: Beim Online-Verfahren war es nicht ganz einfach. Da gibt es verschiedene Rubriken, in die man die Angaben aus dem Lebenslauf einfügen muss. Das war etwas schwierig, aber nach einer Weile klappt es schon. Ich habe zuerst versucht, alles alleine zu machen. Aber es ist auch gut, wenn man Hilfe hat. Die Übergangsmanagerin hat mir viel geholfen, aber auch mein Vater. Beide haben mir Tipps und Tricks verraten und ich habe das dann halt umgesetzt. Nach einer Zeit kam der Online-Test, der war eigentlich auch ganz okay. Dann musste ich das Halbjahreszeugnis einreichen. Die von VW wollten gucken, ob ich mich verschlechtert habe. Ich bin jetzt nicht eine super Schülerin, aber so im grünen Bereich. In Mathe und in Physik habe ich zum Beispiel eine Drei. Aber die achten auch auf Arbeits- und Sozialverhalten und da hatte ich in den letzten zwei Jahren jeweils Zweien. Ich habe dann den Eignungstest im Werk gemacht und dann kam, unerwartet für mich, die Einladung zum Interview, dem Vorstellungsgespräch mit einer kurzen Arbeitsprobe. Bei dem Interview war ich zusammen mit drei Leuten von VW. Eine Industriemeisterin, einem Betriebsrat und eine Frau von der Personalabteilung. Zuerst wurde ich befragt über VW, Dinge die man über die Firma wissen sollte. Ich konnte fast alles beantworten, weil ich mich in verschiedenen Portalen informiert hatte, auf der VW-Seite, bei Wikipedia und auch durch den Girls Day. Eigentlich finde ich, kann man sich jeden Tag informieren, es gibt da keine Zeitgrenze. Einfach machen, wenn man Spaß darauf hat. Dann sollte man weiter machen und nicht aufgeben. Ich musste die Leute bei VW von mir überzeugen und die Dinge glaubwürdig rüberbringen. Wenn ich zum Beispiel sage: „Ich bin ehrgeizig“ und zeige das nicht, ist das nicht so gut. Ich habe versucht, ehrlich zu bleiben und nicht so abgehoben zu wirken. Ich bin Ich geblieben und ich glaube, das war wichtig.
ÜSB: Wenn du anderen Jugendlichen Tipps geben solltest für das Vorstellungsgespräch, welche wären das?
Yasemin: Man selber bleiben, echt bleiben, sich nicht verstellen. Die andern merken, wenn man nur eine Rolle spielt. Auch, dass man nicht so frech rüberkommt, keine patzigen Antworten gibt, dass man respektvoll bleibt. Dass man offen lächelt. Man muss schon aus sich rausgehen, man darf nicht so schüchtern sein. Bei der Arbeitsprobe wurde geguckt, ob man handwerkliches Geschick hat und begabt ist. Ob man z.B. weiß, welcher Schraubenzieher für welche Schraube ist. Ich bekam eine Aufgabe, die auf Blättern beschrieben war, auch mit Fotos, sodass man sehen konnte, wie es am Ende aussehen sollte. Beim ersten Mal hab ich sie nicht geschafft, weil ich zu langsam gearbeitet habe. „Was kannst du denn jetzt besser machen?“ haben mich die Erwachsenen gefragt. „Vielleicht ein bisschen schneller arbeiten, an bestimmten Stellen Zeit sparen, die ich an anderen Stellen wieder aufbrauchen kann.“ Das hab ich dann umgesetzt und auch geschafft.
ÜSB: Du bis ja eigentlich von der Prognose her eine Realschülerin. Du hättest hier noch ein Jahr weiter zur Schule gehen und dann deinen Realschulabschluss machen können. Du hast dich anders entschieden, warum?
Yasemin: Man kann ja auch während der Ausbildung den Realschulabschluss machen. VW bietet so viele Möglichkeiten an. Das steht alles in den Infobroschüren der Firma. Außerdem verdient man schon Geld während der Zeit. Zukunftsperspektiven sind mir auch wichtig. Nach der Ausbildung kann man sich zum Beispiel weiterbilden als Meisterin. Das alles hat mich überzeugt, jetzt schon mit der Ausbildung zu beginnen und nicht auf den Realschulabschluss zu warten.
ÜSB: Waren deine Eltern einverstanden mit diesem Weg, haben sie dich unterstützt?
Yasemin: Meine Eltern fanden das gleich gut mit VW. Die sagten, dass ist wie ein Sechser im Lotto. Mein Vater auch, der war sehr stolz. Ich selber finde es wichtig, dass Eltern ihren Kindern nicht vorschreiben, was sie machen sollen, sondern sie auf ihrem eigenen Weg unterstützen, das zu machen, was sie wirklich wollen. Als ich mich bewerben wollte, habe ich gleich zu Beginn mit meinen Eltern gesprochen. Die haben gesagt: „Gut, das ist sehr, sehr gut, wenn du dich bewerben möchtest.“ Ich wollte es gerne probieren. Und wenn VW mich nicht genommen hätte, wäre ich noch ein Jahr an der Schule geblieben. Aber ich wusste, wenn die mich annehmen, gehe ich natürlich da hin, weil es eben viele, viele Möglichkeiten gibt.
ÜSB: Jetzt hast du dich mit Industriemechanik in einem Beruf beworben, den nicht so viele Mädchen machen. Warum gehst du in so einen typischen Männerberuf?
Yasemin: Ich möchte zeigen, dass auch Frauen diesen Job machen können, dass man es als Frau schaffen kann. So was wie ein Vorbild für andere sein. Vielleicht hatte ich als Mädchen sogar einen kleinen Vorteil. Es bewerben sich ja viel mehr Jungen und dadurch hatte ich eine größere Chance rein zu kommen. Aber am wichtigsten bei meiner Entscheidung war die Arbeit mit den Maschinen, was ich vorher schon gesagt habe. Dass mir das Spaß macht. Und auch das Abwechslungsreiche an der Arbeit.
ÜSB: Wenn du so an die Zukunft denkst, hast du eine Idee, wie es nach der Ausbildung für dich weitergeht?
Yasemin: Auf jeden Fall möchte ich mich nach der Ausbildung weiterbilden. Und zwar als Industriemeisterin. So wie die Frau vom Vorstellungsgespräch. Die war sehr, sehr nett. Ja, die ist schon ein Vorbild gewesen. Da habe ich gesehen, dass Frauen es schaffen können. Sie hat es geschafft, dann denkt man, dann kann ich das auch schaffen. Ich finde es nicht gut, wenn Eltern ihren Töchtern nicht erlauben, einen Männerberuf zu erlernen. Auch später, wenn man verheiratet ist und Kinder hat, sollte man die Möglichkeit haben, weiter den eigenen Weg zu gehen. Dass man das mit der Ausbildung oder dem Beruf vereinbaren kann. Also die Frau sollte ihren eigenen Weg bestimmen, was sie machen möchte.
ÜSB: Yasemin, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Yasemin Cinar führte Mimi Krajczy, die Übergangsmanagerin an der Georg-August-Zinn-Schule